Zukunftsperspektive Ahrtal als Modellregion für Klimafolgenanpassung
17-Punkte-Plan für den Neuaufbau des Ahrtals unter Einbeziehung des Kreises Ahrweiler

Aus Sicht der GRÜNEN im Kreis Ahrweiler sind die folgenden 17 Punkte beim Neuaufbau zu berücksichtigen. Wohnen und Leben an der Ahr sowie Natur- und Umweltschutz sind in Einklang zu bringen. Der Hochwasser- und Starkregenschutz sowie der verstärkte Katastrophenschutz und die Aufarbeitung der Flutkatastrophe sind Kernelemente der Zukunftsplanung. Wir können Starkregenereignisse und Hochwasser nicht verhindern, aber wir können die Folgen abmildern und uns mit einem klimaneutralen und zukunftsweisenden Neuaufbau besser darauf vorbereiten.
Das folgende Grundsatzpapier ist über die gesamte Phase der Neuaufbau-Planungen unser Leitfaden für unsere politische Arbeit in der Öffentlichkeit und in den Gremien.

Natur- und Umweltschutz an der Ahr

1. Der Ahr Raum geben: Mit der Ahr – nicht gegen die Ahr

Die Ahr hat in der Nacht zum 15. Juli ihr Bett an vielen Stellen erheblich verbreitert. Diese neuen Flächen vermindern bei einem künftigen Hochwasser die Höhe der Flut und können die Fließgeschwindigkeit positiv beeinflussen. Daher sollen die neuen Flussräume wo immer möglich in ihrer jetzigen Form bestehen bleiben.

2. Niederschlag lokal binden

Die drei Hochwasser 1804, 1910 und 2021 sind jeweils durch Starkregen an der oberen Ahr entstanden. Deshalb müssen Schutzmaßnahmen an der oberen Ahr und ihren Zuläufen ansetzen und das Regenwasser am Ort des Niederschlags gebunden werden. Regenrückhaltebecken an den Zuläufen und Polder im weiteren Verlauf der Ahr sind kein absoluter Schutz, ermöglichen jedoch bei einer Vernetzung und einem zentralen Management eine zeitliche Steuerung und Verzögerung des Zulaufs. Hierdurch lässt sich die Höhe einer Flutwelle reduzieren. Die Reduzierung der Scheitelwelle gibt eine zeitliche, aber keine absolute Sicherheit. Deshalb sind zusätzliche Schutzmauern, andere Bauweisen, Deiche und die Verlagerung zusätzlich notwendig. Diese Planung und Umsetzung muss von Wasserbauingenieuren unter dem Gesichtspunkt des Hochwasserschutzes optimiert und wissenschaftlich begleitet werden. Land- und Forstwirtschaft sowie der Weinbau müssen daraufhin überprüft werden, wie sie durch geeignete Anbauformen/-methoden ihren Beitrag dazu leisten können, Niederschläge lokal zu binden.

3. Versiegelung von Flächen stoppen

Das moderne Konzept der Schwammstadt mit Zisternen, Teichen und begrünten Dächern muss Vorbild für die Gestaltung unserer Gemeinden sein. Gewerbegebiete und Parkplätze sind entsprechend ökologisch zu planen, die Versiegelung von Flächen im Einzugsgebiet der Ahr muss minimiert und wo möglich rückgebaut werden.

4. Erneuerbare Energien fördern und grünen Strom lokal erzeugen

Der Aufbau im Ahrtal muss das Ziel Klimaneutralität verfolgen. Die Nutzung von regenerativen Energien muss als Standard etabliert und Wind-, Wasser- und Sonnenkraft dazu genutzt werden, grünen Strom lokal zu erzeugen. Daher ist der Aus- und Aufbau von Solar/ PV-Anlagen und Windkrafträdern im Kreis gezielt zu fördern. In allen neuen Bebauungsplänen ist PV und/oder Solarthermie verpflichtend für alle privaten und gewerblichen Gebäude festzusetzen. Die Bürger*innen sollen über Bürger-Energiegenossenschaften an den Gewinnen beteiligt werden.

5. Ökologische Rahmenbedingungen für den Aufbau formulieren

Gebiete, die nach der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) geschützt sind, unterliegen einem strengen Schutz. Es werden jedoch immer wieder Infrastrukturprojekte und Einzelvorhaben in und an diesen Gebieten genehmigt. Das hat oft schwerwiegende ökologische Folgen. Aufräumarbeiten an der Ahr und ihren Zuläufen dürfen der Natur nicht schaden. Das Naturschutzgroßprojekt “Obere Ahr-Hocheifel” soll bis an die Ahrmündung erweitert werden. Hochwasserschutz muss Naturschutz berücksichtigen. Auf dieser Basis könnte das Ahrtal eine Modellregion auch für einen naturverträglichen Tourismus werden.

Hochwasserschutz – Starkregenvorsorge – Katastrophenschutz – Aufarbeitung

6. Sensibilisierung und Schulung der Bevölkerung

Eine Ursache der katastrophalen Auswirkungen lag an der fehlenden Sensibilisierung für die Gefahr und einer mangelhaften Kommunikation. Die Bedeutung von 200mm Starkregen pro m2/Stunde war für die Bürger*innen schwer verständlich. Deshalb ist eine Festlegung auf allgemein verständliche Warnstufen in einfacher Sprache und regelmäßige Schulungen in Kitas, Verwaltungen, Betrieben und Schulen unerlässlich. Die Warnsysteme Rundfunk, Sirenen und Apps müssen katastrophensicher funktionieren, harmonisiert sein und regelmäßig erprobt werden. Eine angemessene Form der Erinnerungskultur ist zu entwickeln, um die Gefahr des Hochwassers im Bewusstsein der Bevölkerung dauerhaft zu verankern.

7. Aus der Katastrophe lernen

Die Flut hat gezeigt, dass der klassische Katastrophenschutz zu kurz greift. Naturkatastrophen erfordern sofortige Entscheidungen vor Ort. Der Kreis ist hier in der Führung und zieht Ressourcen aus Land und Bund falls nötig. Die ehrenamtlichen Strukturen der Feuerwehr, des THW und des Rettungswesens auf Kreisebene sind durch ein Katastrophenschutzzentrum mit hauptberuflichem Kernteam zu stärken. Die Schnittstelle zu privaten Organisationen und Initiativen von Helfer*innen muss von Anfang an besser koordiniert und die viel genutzten Plattformen der sozialen Medien in neue Konzepte des Katastrophenschutzes eingebunden werden.

8. Zukunftssicherheit durch integrierten Hochwasserschutz

Der Neuaufbau soll zu einem Pilotprojekt für Mittelgebirgstäler als Vorbild für einen nachhaltigen Hochwasserschutz werden. Das beinhaltet die Beauftragung von Planungs- und Wasser- Ingenieurbüros und die Einrichtung einer kreisweiten Hochwasserschutz-Arbeitsgruppe. Es soll eine wissenschaftliche Begleitung durch ein Universitätsinstitut zur Erstellung eines digitalen Zwillings als Simulation des Ahrtals erfolgen.

9. Trauma-Aufarbeitung

Die Erfahrungen der Flutnacht haben die Menschen in vielfacher Hinsicht geprägt, zum einen die unmittelbar Betroffenen, aber auch die vielen Helfenden. Viele Menschen im Ahrtal trauern um verstorbene Angehörige und wurden komplett aus ihren gewohnten Strukturen gerissen. Kinder und Jugendliche, aber auch ältere und alleinstehende Menschen müssen über die verschiedenen sozialen Einrichtungen gezielt angesprochen werden. Zusätzliche psychologische Beratung und Unterstützung ist hier dringend auch längerfristig erforderlich, da sich der Zeitpunkt des akuten Hilfsbedarfs individuell sehr unterschiedlich darstellen kann.

Wohnen und Leben an der Ahr

10. Alternatives Bauland und fairer finanzieller Ausgleich

Neue hochwassersichere Grundstücke sind bei Bedarf für Flutopfer auszuweisen, dabei sind Dorfentwicklungsplanung und Naturschutz zu berücksichtigen und Zersiedelung zu vermeiden. Flächennutzungs- und Bebauungspläne müssen angepasst werden. Im Einvernehmen mit den Eigentümer*innen sollen Kreis oder Gemeinden deren Grundstücke und Gebäude zu einem Preis erwerben, der den Betroffenen einen Neuanfang an hochwassersicherer Stelle ermöglicht.

11. Gewerbebetriebe im Kreis Ahrweiler nachhaltig neu aufbauen

Im neuausgewiesenen Hochwasserschutzgebiet darf es bei Gewerbeansiedlungen keine Gefahrgüter und keine Lager von potentiellem Treibgut mehr geben. Für diese Firmen und für Firmen, die sich freiwillig für eine Neuansiedlung außerhalb des Hochwassergebietes entscheiden, sind alternative Flächen auszuweisen, um Investitionen zu sichern und die Arbeitsplätze im Kreis Ahrweiler zu erhalten. Diese Flächen müssen zukunftsorientiert aufgebaut werden. Dies betrifft insbesondere eine klimaneutrale Architektur, erneuerbare Energien, breitbandige Anbindung und eine Alternative zum Individualverkehr.

12. Klimaneutrales Bauen

Ein sehr hoher Anteil der Energie wird in Deutschland für die Wärmeversorgung benötigt. Die Bauweise und Technik der zu errichtenden Neubauten für Gewerbe, Verwaltung und privaten Wohnraum legt deren Energieverbrauch der nächsten 30 Jahre fest. Deshalb sollen alle Neubauten dem Ziel der Klimaneutralität gerecht werden.

13. Moderne, vernetzte und nachhaltige Mobilitätsformen

Beim Aufbau der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur soll eine Mobilitätsgarantie für alle Bürger*innen auch im ländlichen Raum das Ziel sein. Daher benötigen wir ein vernetztes System von Bus und Bahn, abrufbereiter und ggfs. autonomer Busse sowie Sharing-Modelle für E-Bikes oder Elektroautos. Die hierfür notwendige Ladeinfrastruktur muss zukunftsweisend geschaffen werden. Der Ausbau von sicheren Fuß- und Radwegen ergänzt das Konzept. Elektrifizierung und Ausbau der Ahrtalbahn sollen geprüft werden.

14. Schutz der Kulturlandschaft und historischer Gebäude

Das Ahrtal mit alten Mühlen, Schulen und Eisenbahnbrücken, Streuobstwiesen und Weinterrassen ist ein einzigartiger Kulturraum. Möglichst viele dieser prägenden Elemente sollen im Aufbau erhalten werden. Denkmalschutz ist eine Kulturaufgabe von uns allen.

15. Aufbau der digitalen Infrastruktur

Für gute und gleichberechtigte Lebensbedingungen im ländlichen Raum und dessen Attraktivität als Wohn- und Arbeitsplatz ist die breitbandige Versorgung mit Festnetz und Mobilfunk eine unbedingte Voraussetzung. Der Aufbau muss deshalb von Anfang an eine Vollversorgung mit breitbandigem Internetanschluss berücksichtigen.

16. Aufbau von Schulen und Kitas

Der hochwassersichere Aufbau der Schul- und Kita-Infrastruktur muss höchste Priorität haben. Wir wollen die neuen Schulen und Kitas nach aktuellem bau- und energietechnischem Standard sowie inklusiv errichten, dazu gehören auch Luftfilteranlagen. Dabei muss auch immer ein kinderfreundliches Lern- und Lebensumfeld mitgedacht werden, das auch die digitalen Möglichkeiten ausschöpft. Über ausreichende Kita-Plätze wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sichergestellt.

17. Im Neuaufbau dörfliche Quartierskonzepte entwickeln und umsetzen

Die Erhaltung von lebenswerten Ortskernen, Plätzen und Straßen soll über eine räumliche Dorfentwicklung mit Dorfmoderationsprozessen gefördert werden. Der ländliche Raum hatte auch vor der Flutkatastrophe schon Engpässe in der medizinischen Versorgung sowie bei Lebensmittel- und Einzelhandelskonzepten. Der Neuaufbau der dörflichen Strukturen soll hier zukunftsweisende und nachhaltige Konzepte verfolgen, die den ländlichen Raum mit seinen dörflichen Strukturen über gezielte Angebote wie Dorfgemeinschaftshäuser, Spiel- und Sportplätze attraktiv gestalten. Ortsansässige Händler müssen im Konzept berücksichtigt werden, damit eine Versorgung insbesondere auch für ältere Menschen langfristig gesichert ist.

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